Einsatz von medizinischem Cannabis bei Schmerzen im Bewegungsapparat | GH Academy

Key Facts
- Endocannabinoidsystem (ECS): Das ECS reguliert Schmerzempfinden und Entzündungen. CB1- und CB2-Rezeptoren sind für schmerzlindernde Effekte entscheidend.
- Medizinisches Cannabis in der Orthopädie: THC und CBD interagieren mit dem ECS und könnten Schmerzen bei Rücken-, Hüft- & Knieproblemen lindern.
- Wissenschaftliche Belege: Die Studienlage ist gemischt. Einige Studien zeigen eine Schmerzreduktion durch Cannabis, andere finden keine eindeutige Wirkung.
- Cannabis & Rückenschmerzen: Medizinisches Cannabis kann Schmerzen reduzieren, Lebensqualität verbessern und den Opioidverbrauch senken.
- Hüftschmerzen: CBD kann Schmerzen, Beweglichkeit & Schlafqualität verbessern.
- Knieschmerzen: Eine Studie zeigt ähnliche Schmerzreduktion von Hanfsamenöl und Diclofenac-Gel.
Chronische Schmerzen im Bewegungsapparat, wie Rückenschmerzen, Knieschmerzen oder Hüft-Arthrose, betreffen Millionen Menschen weltweit. Konventionelle Schmerzmittel wie Ibuprofen, Paracetamol oder Opioide haben oft unerwünschte Nebenwirkungen und begrenzte Wirksamkeit. Eine zunehmend erforschte Alternative ist medizinisches Cannabis. Doch welche Mechanismen stehen hinter seiner Wirkung, und was sagen wissenschaftliche Studien dazu?
Das Endocannabinoidsystem und seine Rolle bei der Schmerzmodulation
Das Endocannabinoidsystem (ECS) ist ein zentrales Regulationssystem im menschlichen Körper, das eine Schlüsselrolle bei der Schmerzlinderung und Entzündungshemmung, auch in der Orthopädie1, spielt. Es besteht aus:
- Endocannabinoiden (z.B. Anandamid, 2-Arachidonoylglycerol), die körpereigene Signale übermitteln,
- Cannabinoid-Rezeptoren (CB1 und CB2), die in verschiedenen Geweben exprimiert werden,
- Enzymen, die für die Synthese und den Abbau der Endocannabinoide verantwortlich sind.
CB1-Rezeptoren befinden sich hauptsächlich im zentralen Nervensystem und modulieren die Schmerzverarbeitung, während CB2-Rezeptoren in Immunzellen exprimiert werden und entzündungshemmende Effekte vermitteln. Medizinisches Cannabis enthält Phytocannabinoide wie Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD), die mit diesen Rezeptoren interagieren und somit schmerzlindernde und entzündungshemmende Eigenschaften entfalten können.
Die Beeinflussung des ECS könnte eine neue Strategie für Schmerztherapien sein2. Daher besitzt der Einsatz von Cannabinoiden ein hohes Potenzial für die Behandlung orthopädischer Erkrankungen, aber die wissenschaftliche Evidenz ist noch begrenzt. Qualitativ hochwertige Studien sind erforderlich, bevor klare Empfehlungen für den Einsatz von Cannabinoiden bei bspw. chronischen Rücken-, Hüft- oder Knieschmerzen gegeben werden können.
Wissenschaftliche Belege zur Schmerztherapie mit Cannabis
Mehrere klinische Studien und Meta-Analysen haben die Wirksamkeit von medizinischem Cannabis bei chronischen Schmerzen untersucht. Bereits 2019 wurde in einer Übersichtsarbeit der Einsatz von Cannabis in der Orthopädie zusammengefasst3. Aus 33 ausgewerteten Studien (darunter 6 kontrollierten, klinischen Studien) wurde ein gemischtes Fazit gezogen. Einige berichteten von positiven Effekten, andere weniger. Studien, in denen höhere Dosen verwendet wurden, kamen in der Regel zu dem Schluss, dass die Cannabiseinnahme wirksam ist, aber das Potenzial für schädliche Wirkungen bei höheren Dosen ebenfalls erhöht sein kann.
Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis kam eine kanadische Forschergruppe4, die ebenfalls schlussfolgerte, dass Cannabis-Patient:innen, die unter chronischen muskuloskelettalen Schmerzen oder anderen chronischen, nicht krebsbedingten Schmerzen leiden, mehr Nutzen als Schaden in Cannabis sehen, insbesondere bei der inhalativen Anwendung.
Aktuelle Studien zur Behandlung von Rückenschmerzen
Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2023 liefert vorläufige Belege dafür, dass die Einnahme von medizinischem Cannabis mit einer Verringerung der Schmerzen im Bereich des unteren Rückens und der gleichzeitigen Einnahme von Opioiden einhergehen kann5. Die Ergebnisse liefern jedoch keine Hinweise auf eine Dosis-Wirkungs-Beziehung oder neue Erkenntnisse über die Wirksamkeit/Effektivität von medizinischem Cannabis zur Behandlung von Schmerzen im Bereich des unteren Rückens.
In einer kleinen Studie mit 28 Teilnehmenden wurde die Sicherheit und Wirksamkeit eines THC:CBD-Präparats (10:25) bei Patient:innen mit mittelschweren bis schweren chronischen Schmerzen, die nicht auf herkömmliche Schmerzmittel ansprachen, untersucht6. Es zeigte sich eine signifikante Verbesserung bei höheren Dosen (Reduktion um 29 % bei 20 mg THC/50 mg CBD und 34 % bei 30 mg THC/75 mg CBD) sowie eine signifikante Abnahme der Stress- und Depressions-Symptome. Berichtete Nebenwirkungen (z B. Übelkeit, Schwindel, Müdigkeit) wurden meist als mild eingestuft.
Eine andere Studie mit 24 Patient:innen mit Bandscheibenvorfällen oder Spinalkanalstenose verglich die Wirkung eines sublingualen CBD-reichen Cannabisextraktes (1% THC : 6% CBD) mit der Inhalation einer ausgeglichenen Cannabisblüte (10% THC : 10% CBD)7. Dabei zeigte sich, dass die sublinguale CBD-Therapie zu keiner signifikanten Schmerzlinderung führte. Demgegenüber kam es unter der inhalierten THC-Therapie zu einer signifikanten Schmerzreduktion, Verbesserung der Lebensqualität und Reduktion des Schmerzmittelverbrauchs.
Aktuelle Studien zur Behandlung von Hüftschmerzen
In einer US-Amerikanischen Studie wurden Zusammenhänge zwischen der CBD-Einnahme und der Verbesserung der Hüft-Arthritis-Symptome der Patient:innen sowie der Verringerung anderer Medikamente festgestellt8. CBD führte zu einer Verbesserung der Hüft-Schmerzen, der Beweglichkeit und der Schlafqualität.
Eine andere Studie mit 46 Patient:innen mit vollständiger Hüft-Arthroplastik konnte jedoch keinen Opioid-einsparenden Effekt unter der Einnahme von Cannabis nachweisen9. In den ersten 2 Wochen nach der Operation konnte kein Unterschied im Schmerzmittelverbrauch zwischen Cannabis-Nutzern und Nicht-Nutzern festgestellt werden.
Aktuelle Studie zur Behandlung von Knieschmerzen
Eine aktuelle doppelblinde, randomisierte, Placebo-kontrollierte Studie zeigt10, dass Hanfsamenöl im Rahmen einer 4-wöchigen Behandlung zu einer stärkeren Verbesserung der Schmerzwerte sowie der arthritischen Beschwerden (WOMAC) im Vergleich zum Placebo führte, jedoch nicht bei der Kniebeweglichkeit. Zwischen Hanfsamenöl und Diclofenac-Gel konnten keine signifikanten Unterschiede bei den gemessenen Ergebnissen festgestellt werden.
Vorteile und potenzielle Risiken
Neben den potenziellen Vorteilen des Einsatzes von medizinischem Cannabis wie Verbesserung der Schlaf- und Lebensqualität, Reduzierung des Bedarfs an Opioiden11, 12, sind auch mögliche Risiken zu beachten:
- Psychotrope Effekte von THC (z. B. kognitive Beeinträchtigungen, Schwindel)
- Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
- Langfristige Auswirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit noch nicht vollständig erforscht
- Studien zeigen ein erhöhtes Risiko für tiefe Venenthrombosen, Revisionen und kardiale Komplikationen nach vollständiger Hüft- und Kniegelenksersatzoperationen13, 14.
Fazit
Die Forschung zu medizinischem Cannabis bei Schmerzen des Bewegungsapparats zeigt vielversprechende Ergebnisse, insbesondere in der Modulation des ECS und der Reduktion von entzündungsbedingten Schmerzen. Cannabis wird bei chronischen Schmerzen, Spastizität und Übelkeit eingesetzt, aber eine breite orthopädische Anwendung ist noch nicht wissenschaftlich gesichert. Weitere randomisierte, kontrollierte Studien sind notwendig, um optimale Dosierungsstrategien und Langzeitwirkungen besser zu verstehen. Patient:innen sollten die Therapie in enger Abstimmung mit ihrer Ärztin bzw. ihrem Arzt durchführen, um Risiken zu minimieren und bestmögliche Therapieergebnisse zu erzielen.
Quellen
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