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Medizinisches Cannabis bei PTBS: Hoffnung oder Hype? | GH Academy

  • Bei PTBS ist das ECS häufig aus dem Gleichgewicht, z. B. durch einen Mangel an Anandamid, dem „Glücksmolekül“.
  • Cannabinoide wie THC & CBD können das ECS beeinflussen und Symptome wie Flashbacks, Albträume und Angst mildern.
  • THC wirkt psychoaktiv und zeigt angstlösende Effekte; CBD ist nicht berauschend und wirkt beruhigend.
  • Cannabis kann REM-Schlaf modulieren und dadurch Trauma-Albträume reduzieren.
  • Das ECS beeinflusst, wie traumatische Erinnerungen verarbeitet und abgespeichert werden.
  • Medizinisches Cannabis kann eine Option für therapieresistente PTBS-Patient:innen darstellen – besonders bei Schlaf- und Angstsymptomen.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) betrifft Millionen Menschen weltweit – oft mit massiven Auswirkungen auf Lebensqualität, Alltag und Beziehungen. Eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entsteht als Reaktion auf ein extrem belastendes oder bedrohliches Ereignis, das die psychischen Bewältigungsmechanismen einer Person überfordert. Typische Ursachen können neben Gewalt- und Missbrauchserfahrungen, Krieg und bewaffneten Konflikten, Unfällen und Katastrophen auch Verluste und plötzliche Trennungen sowie medizinische Traumata sein. Wichtig dabei: Nicht jedes Trauma führt automatisch zu einer PTBS – entscheidend ist, wie die betroffene Person das Ereignis erlebt und verarbeitet.

Klassische Therapien wie Psychotherapie (insbesondere Eye Movement Desensitization and Reprocessing, kurz EMDR, und kognitive Verhaltenstherapie) und Medikamente (z.B. Antidepressiva) zeigen nicht bei allen Betroffenen ausreichende Wirkung. In den letzten Jahren rückt eine alternative Behandlungsoption zunehmend in den Fokus: medizinisches Cannabis. Doch was sagt die Wissenschaft dazu?

Das Endocannabinoid-System – ein unterschätzter Schlüssel zur Psyche?

Das Endocannabinoid-System (ECS) ist ein weit verzweigtes neuronales Regulationssystem, das u.a. Stimmung, Gedächtnis, Schlaf, Angst und Stressreaktionen beeinflusst. Es besteht aus:

  • Endocannabinoiden (körpereigene Botenstoffe wie Anandamid und 2-AG),
  • Cannabinoidrezeptoren (v.a. CB-1 im zentralen Nervensystem und CB-2 im Immunsystem),
  • Enzymen, die diese Botenstoffe abbauen.

Dysregulation bei PTBS

Studien deuten darauf hin, dass bei PTBS eine Dysfunktion im ECS vorliegen könnte:

  • Reduzierte Spiegel von Anandamid1, einem stimmungsaufhellenden Endocannabinoid.
  • Das körpereigene Stresssystem – auch bekannt als Stressachse – ist bei Menschen mit PTBS oft überaktiv2. Das bedeutet, dass der Körper ständig in Alarmbereitschaft ist, selbst wenn keine echte Gefahr besteht.
  • Auch bestimmte Hirnbereiche, die wichtig für die Gefühlsregulation und die Verarbeitung von Angst sind, arbeiten bei PTBS-Betroffenen anders als üblich3. Dazu gehören der präfrontale Cortex (für rationales Denken und Kontrolle) und die Amygdala (das „Angstzentrum“).

Die Vermutung der Forschung: Wenn das Endocannabinoid-System aus dem Gleichgewicht gerät, kann es sein, dass das Gehirn traumatische Erlebnisse nicht richtig verarbeitet. Das könnte erklären, warum die Symptome bei PTBS über lange Zeit bestehen bleiben.


Cannabis und seine Wirkstoffe: THC vs. CBD

Medizinisches Cannabis enthält hauptsächlich zwei Wirkstoffe:

  • Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC): psychoaktiv, angstlösend, schmerzlindernd – aber auch potenziell abhängig machend und kognitiv beeinträchtigend
  • Cannabidiol (CBD): nicht psychoaktiv, wirkt anxiolytisch (angstlösend), antipsychotisch und entzündungshemmend

Wirkmechanismen bei PTBS

Cannabis kann möglicherweise:

  • Albträume reduzieren, indem es die REM-Schlafphasen moduliert
  • Intrusionen und Flashbacks dämpfen, durch Hemmung der Amygdala-Aktivität
  • Stimmung stabilisieren und Angst verringern, durch Aktivierung von CB1-Rezeptoren
  • dabei helfen, wie das Gehirn belastende Erinnerungen abspeichert und verarbeitet – was wichtig sein kann, um traumatische Erlebnisse besser zu bewältigen

Aktuelle Studienlage

Die Studienlage ist noch nicht einheitlich, aber zunehmend vielversprechend:

Bereits 2015 wurde eine doppelblinde, placebokontrollierte Studie mit kanadischen männlichen Militärangehörigen durchgeführt, die an PTBS erkrankt waren und trotz Standardbehandlung weiterhin Trauma-induzierte Albträume erlebten4. In dieser kleinen Stichprobe bot Nabilon, ein synthetischer THC-Abkömmling, eine signifikante Linderung, was darauf hinweist, dass es als klinisch relevante Behandlung für Patient:innen mit Albträumen und einer Vorgeschichte von Nichtansprechen auf traditionelle Therapien vielversprechend ist.

Die klinische Studie von Walsh und Kolleg:innen untersuchte die Auswirkungen von verdampftem Cannabis auf PTBS-Symptome in einem kleinen klinischen Versuch5. Es handelte sich um eine randomisierte, placebokontrollierte Crossover-Studie mit drei Bedingungen: Placebo-Cannabis, Cannabis mit einem THC-Gehalt von 10% und Cannabis mit einem THC/CBD-Verhältnis von 10:1. Die Studie umfasste jedoch nur fünf Teilnehmer:innen, was eine signifikante Analyse erschwerte. Trotz der geringen Teilnehmerzahl zeigten die Ergebnisse positive Trends in der Reduktion von PTBS-Symptomen, was auf ein mittleres Effektstärkenniveau hinweist.

Diese Übersichtsarbeit von Cohen und Kolleg:innen6 untersucht das Potenzial von Cannabinoiden als Therapie für PTBS und damit verbundene Substanzgebrauchsstörungen (SUD). Die Autor:innen diskutieren die hohe Komorbidität von PTBS und SUD und heben hervor, dass traditionelle Behandlungen oft nicht ausreichend wirksam sind. Cannabis wird hier als vielversprechende Option betrachtet, insbesondere wegen seiner angstlösenden und stimmungsstabilisierenden Eigenschaften. Die Studie betont jedoch, dass mehr Forschung erforderlich ist, um die Sicherheit und Wirksamkeit von Cannabinoiden bei PTBS und SUD zu validieren, insbesondere in Hinblick auf die Kombination von Cannabinoid-basierten Therapien mit konventionellen Ansätzen wie der kognitiven Verhaltenstherapie.

Eine randomisierte Crossover-Studie verglich die kurzfristigen Effekte von drei gerauchten Cannabispräparaten mit Placebo bei PTBS-Patient:innen7. Die Ergebnisse zeigten, dass Cannabispräparate eine signifikante Reduktion der PTBS-Symptome im Vergleich zu Placebo bewirken konnten. Die Studie stellte jedoch auch fest, dass die Wirkung von THC-haltigen Präparaten besonders ausgeprägt war, während CBD-haltige Präparate weniger wirksam waren. Die Autor:innen argumentieren, dass diese Ergebnisse die potenziellen Vorteile von THC bei der Behandlung von PTBS hervorheben, fordern jedoch weitere Forschungen zur Langzeitwirkung und den möglichen Risiken von Cannabisgebrauch bei PTBS.

Eine weitere randomisierte, kontrollierte Studie untersuchte die Wirkung von Cannabidiol (CBD) auf Angstzustände bei PTBS-Patient:innen, die durch den Rückruf traumatischer Ereignisse ausgelöst wurden8. Es wurde festgestellt, dass der anxiolytische Effekt von CBD stark von der Art des erlebten Traumas abhängt. Während einige Patient:innen von einer deutlichen Reduktion der Angst berichteten, zeigten andere kaum Veränderungen. Dies deutet darauf hin, dass CBD als Behandlung für PTBS möglicherweise nicht für alle Patient:innen gleichermaßen wirksam ist und dass individualisierte Ansätze erforderlich sein könnten.

Einschränkungen der Studien

  • Die Qualität der Studien ist vergleichsweise gering. Viele Studien sind retrospektiv oder beobachtend, nicht randomisiert-kontrolliert.
  • Dosierung, THC-/CBD-Verhältnis und Darreichungsform sind oft inkonsistent und erschweren daher eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse.
  • Placeboeffekte und Auswahl von Proband:innen erschweren die Interpretation der Daten.

Vorteile und potenzielle Nutzen

  • Medizinalcannabis kann eine alternative Therapieoption für therapieresistente Fälle darstellen.
  • Cannabis-Präparate ermöglichen einen schnellen Wirkungseintritt bei akuten Symptomen (z.B. Panikattacken, Schlafstörungen).
  • Medizinisches Cannabis ist eine mögliche Alternative zu Benzodiazepinen mit teils geringerem Abhängigkeitspotenzial.
  • Die Möglichkeit der individuellen Dosierung je nach Wirkstoffprofil stellt einen wesentlichen Vorteil der patientenindividuellen Therapie dar.

Risiken und Nebenwirkungen

Trotz der Potenziale sind Risiken der Cannabistherapie nicht zu vernachlässigen:

  • Kognitive Beeinträchtigungen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit), vor allem im Umfeld nicht-ärztlich begleiteter Therapie
  • Psychotische Symptome bei gefährdeten Personen (Psychose in der Vorgeschichte oder im familiären Umfeld)
  • Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
  • Fehlende Langzeitstudien zu Wirksamkeit und Sicherheit

Fazit: Mehr Forschung – aber berechtigte Hoffnung

Der Einsatz von medizinischem Cannabis bei PTBS ist vielversprechend, insbesondere bei Patient:innen mit therapieresistenter Symptomatik. Die Rolle des Endocannabinoid-Systems scheint dabei zentral9. Doch die wissenschaftliche Evidenz ist noch im Aufbau – groß angelegte, kontrollierte Studien fehlen bislang.

Bis dahin gilt: Cannabis ist kein Allheilmittel, aber möglicherweise ein wertvoller Baustein im multimodalen Therapiekonzept für PTBS – wenn gezielt, ärztlich begleitet und verantwortungsvoll eingesetzt.


Quellen

[1] Neumeister A, Normandin MD, Pietrzak RH, Piomelli D, Zheng MQ, Gujarro-Anton A, Potenza MN, Bailey CR, Lin SF, Najafzadeh S, Ropchan J, Henry S, Corsi-Travali S, Carson RE, Huang Y. Elevated brain cannabinoid CB1 receptor availability in post-traumatic stress disorder: a positron emission tomography study. Mol Psychiatry. 2013 Sep;18(9):1034-40.
[2] Steardo L Jr, Carbone EA, Menculini G, Moretti P, Steardo L, Tortorella A. Endocannabinoid System as Therapeutic Target of PTSD: A Systematic Review. Life (Basel). 2021 Mar 9;11(3):214. 
[3] Rabinak CA, Blanchette A, Zabik NL, Peters C, Marusak HA, Iadipaolo A, Elrahal F. Cannabinoid modulation of corticolimbic activation to threat in trauma-exposed adults: a preliminary study. Psychopharmacology (Berl). 2020 Jun;237(6):1813-1826.
[4] Jetly R, Heber A, Fraser G, Boisvert D. The efficacy of nabilone, a synthetic cannabinoid, in the treatment of PTSD-associated nightmares: A preliminary randomized, double-blind, placebo-controlled cross-over design study. Psychoneuroendocrinology. 2015 Jan;51:585-8.
[5] Walsh Z, Mitchell I, Crosby K, St Pierre M, DeClerck D, Ong K, Lucas P. A small clinical trial of vaporized cannabis for PTSD: suggestive results and directions for future study. Trials. 2023 Sep 9;24(1):578.
[6] Cohen et al. (2020): "Cannabinoids as an Emerging Therapy for PTSD and Substance Use Disorders"
[7] Bonn-Miller MO, Sisley S, Riggs P, Yazar-Klosinski B, Wang JB, Loflin MJE, Shechet B, Hennigan C, Matthews R, Emerson A, Doblin R. The short-term impact of 3 smoked cannabis preparations versus placebo on PTSD symptoms: A randomized cross-over clinical trial. PLoS One. 2021 Mar 17;16(3):e0246990.
[8] Bolsoni LM, Crippa JAS, Hallak JEC, Guimarães FS, Zuardi AW. The anxiolytic effect of cannabidiol depends on the nature of the trauma when patients with post-traumatic stress disorder recall their trigger event. Braz J Psychiatry. 2022 May-Jun;44(3):298-307.
[9] Müller-Vahl KR. Cannabinoids in the Treatment of Selected Mental Illnesses: Practical Approach and Overview of the Literature. Pharmacopsychiatry. 2024 May;57(3):104-114.

Autor: Dr. Nadine Herwig
Dr. Nadine Herwig - Leiterin Grünhorn Academy
Dr. Nadine Herwig studierte von 2006 bis 2010 Angewandte Naturwissenschaften an der Technischen Universität Bergakademie Freiberg. Ihre Promotion führte sie am Helmholtz-Zentrum in Dresden-Rossendorf am Institut für Radiopharmazie durch. Zu ihren bislang publizierten wissenschaftlichen Arbeiten gehören u. a. Originalartikel auf dem Gebiet der Hautkrebsforschung und der Biomarker.